Die Frage ist nicht, ob wir Partizipation in den Kitas etablieren wollen, sondern wie wir es schaffen, es zu tun, denn es gehört zu unserem Bildungsauftrag und es ist das Recht der Kinder:
„Kinder müssen bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, nach ihrer Meinung gefragt werden. Kinder dürfen ihre Meinung frei heraus sagen und diese muss dann auch berücksichtigt werden.“
Für mich kann Partizipation jedoch nur gelingen, wenn wir an unserer Grundhaltung gegenüber Kindern arbeiten und aktiv beginnen uns in unserem Handeln gegenüber Kindern zu reflektieren. Bereits Emmi Pikler und Magda Gerber beschrieben in ihren zehn, auf Respekt basierenden Prinzipien: „Beteiligen Sie Säuglinge und Kleinkinder an Dingen die Sie betreffen. (…) Behandeln sie Sie nicht wie Objekte oder niedliche kleine Menschen, die nichts im Kopf haben und manipuliert werden können.“
Die meisten Erwachsenen gehen davon aus, dass sie aufgrund ihres Alters, intelligenter und kompetenter als Kinder sind und sich dadurch über deren Bedürfnisse, Meinungen und Ansichten hinwegsetzen dürfen. Dadurch entsteht ein Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen. Das nennt man Adultismus. Adultismus ist die erste Diskriminierungserfahrung, die Kinder erleben. Adultismus wirkt auf drei Ebenen: kulturell- strukturelle/ institutionell - und individuell.
Auf der individuellen Ebene haben pädagogische Fachkräfte besonders Einfluss, da dies das persönliche Handeln betrifft. Selbst bei sehr reflektierten Erwachsenen, schleichen sichadultistische Verhaltensweisen immer wieder ein. Adultismus zeigt sich besonders häufig in unserem machtvollen Sprachgebrauch. Typische Erwachsenensätze wie:
„Nimm die Hände auf den Tisch“ – „Du hast überhaupt keinen Grund“ – „Das verstehst du noch nicht“ – „Du isst zu viel“ – „Du bist wie ein Baby“führen dazu, dass sich Kinder machtlos, bedroht, inkompetent und unverstanden fühlen. Es ist die Aufgabe päd. FK sich sprachlich zu reflektieren und zu fragen, wie sich ein Kind in so einer Situation fühlt.
Es gibt viele Formen pädagogischer Macht über die wir „verfügen“ und von der wir zugunsten von Partizipation an Kinder abgeben können. Denn Partizipation bedeutet in erster Linie Machtabgabe.
Wir besitzen verschiedene Formen von Macht. Diese sollen im Folgenden kurz dargestellt werden, um sich dessen bewusst zu sein und erfassen zu können, wo Machtabgabe möglich ist.
Handlungs- und Gestaltungsmacht
Dazu gehört die Raumgestaltung, die Einteilung der Kinder in Gruppen, die Strukturierung des Tagesablaufs, sowie die Auswahl von Materialien und Projekten.
Eine weitere Macht ist die Verfügungsmacht: Dies betrifft den Zugang zu Ressourcen: Was wird wann genutzt, wofür wird Geld ausgegeben, welche Schränke sind verschlossen und welche nicht?
Definitions- und Deutungsmacht
Pädagogische Fachkräfte beeinflussen durch ihre Haltung und ihre Vorerfahrungen, was als richtig oder falsch, gut oder schlecht angesehen wirdoder werden soll.
Mobilisierungsmacht
Fachkräfte können Kinder dazu bringen, ihren Vorstellungen zu entsprechen. Dies geschieht durch Begeisterung und Animation, durch nette und freundliche Bitten oder durch weniger freundliche Anweisungen, wenn Widerstand spürbar wird.
Partizipation kann nur dann entstehen, wenn wir Kinder, wie von Jasper Juuls definiert, als„gleichwürdig“ betrachten: „Gleichwürdig bedeutet nach meinem Verständnis sowohl, von gleichem Wert" (als Mensch) als auch "mit demselben Respekt gegenüber der persönlichen Würde und Integrität des Partners". In einer gleichwürdigen Beziehung werden Wünsche, Anschauungen und Bedürfnisse beider Partner gleich ernst genommen und nicht mit dem Hinweis auf Geschlecht, Alter oder Behinderung abgetan oder ignoriert.“
Es gibt mehrere Abstufungen von Partizipation.
Information
Es wird dabei dem Bedürfnis entsprochen, dass es für Kinder wichtig ist, informiert zu werden, weil sie sich innerlich darauf vorbereiten können, was geschieht. Dazu gehört beispielsweise die morgendliche Besprechung des Tagesplans und die am besten zusätzlich visualisiert wird und auch beinhaltet, welche Mitarbeiter:innen heute in dem Bereich tätig sind. Dazu gehört auch die Frage „Bist du bereit, dass ich dich jetzt wickle?“ Kinder haben dadurch die Chance, zusignalisieren, dass sie das gerade nicht möchten, weil sie vielleicht noch einen Moment brauchenoder lieber von jemand anderem gewickelt werden möchten.
Teilhabe
Dass bedeutet, dass sich die Kinder zeitweise bei einer Aktion einbringen und engagieren dürfen. Sie werden zum Beispiel eingebunden, wenn eine neue Kollegin zum Probearbeiten kommt. Sie dürfen ihr Fragen stellen, mit ihr Zeit verbringen und danach berichten, wie sie sie fanden.
Mitwirkung
Ein Beispiel dafür wäre, dass ein Raum neugestaltetwerden soll und die Kinder ihre Ideen und Wünsche für die Gestaltung des Raums einbringen dürfen. Die Entscheidung was davon umgesetzt wird, liegt am Ende jedoch nicht in ihrer Hand.
Wenn Kinder bei einer Entscheidung mit einbezogen werden, so ist dies Mitbestimmung. Die Kinder geben hier nicht nur Vorschläge für die Gestaltung eines Raumes ab, sondernstimmen gemeinsam ab, was angeschafft werden soll. Hierzu können beispielsweise im Gesprächskreis Fotos von drei neuen Spielzeuganschaffungsideen ausgelegt werden. Jedes Kind bekommt einen Stein in die Hand und darf ihn auf das Bild legen, was sein Wunschobjekt zeigt. Das Spielzeug mit den meisten Stimmen wird dann unmittelbar angeschafft. Diese Methode der Abstimmung ist auch schon bei sehr jungen Kindern möglich. Durch die aktive Auswahl, Beteiligung und Visualisierung, verstehen Kinder sehr schnell, dass sie eine Stimme haben, aber am Ende die erkennbare Mehrheit entscheidet – das ist eine erste Form von Demokratieerleben.
Selbstbestimmung
Hier entwickeln Kinder eigenständig die Idee, wie beispielsweise für einkleines Fest- oder eine Aktion und beziehen anschließend Erwachsene bei der Realisierung ihrer Ideen mit ein.
Selbstverwaltung bzw. Selbstorganisation
Hier wäre ein Beispiel, dass die Kinder am Vormittag einen Raum zur Verfügung haben. Viele interessieren sich gerade für das Tanzen. Zwei Mädchen möchten einen Tanzkurs anbieten, alle sind einverstanden. Sie malen dafür Plakate, besorgen sich die Materialien aus der Kita, bereiten den Raum vor und besprechen die Regeln mit den anderen Kindern. Dabei handeln die Kinder aus eigener Motivation und haben völlige Entscheidungsfreiheit.
Es geht nicht darum, dass Partizipation stets auf den höchsten Beteiligungsstufe stattfinden sollte. Es geht vielmehr darum, dass sich Erwachsene überlegen, welche Stufe der Beteiligung für welche Kinder (welche Altersstufe), welchen Prozess bzw. welche Situation praktikabel, passend und realistisch ist.
Häufig ist der Alltag von Kindern jedoch durch Fremdbestimmung geprägt. Sie werden weder informiert, noch in Entscheidungen einbezogen. In einigen Einrichtungen wird gerne eine Form von Schein- Partizipation betrieben. Die Kinder werden beispielsweise in eine Sitzung oder das Leitungsbüro eingeladen und dürfen etwas sagenoder sich beschweren, ihre Meinung zählt und interessiert aber eigentlich gar nicht und wirdauch nicht in eine weiterführende Entscheidungenmit einbezogen, oder führt zu einer Konsequenz.
Die besten Entscheidungen für Kinder, trifft man jedoch mit Kindern.
Dazu braucht es Erwachsene, die eine offene, respektvolle, fragende und dialogbereite Grundhaltung mitbringen.
Sie müssen den Rahmen für diese Mitbestimmung geben und dabei sehr sensibel und auch flexibel darin sein, diesen anzupassen, um noch besser auf die Kinder eingehen zu können. Sie belehren und bevormunden nicht, sondern begeben sich in eine gleichwürdige Beziehung: dies zeigt sich in ihrem Tonfall, ihren Worten, ihren Blicken und Gesten gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern
Kinder erfahren durch Partizipation, dass sie Individuen mit ganz eigenen Bedürfnissen sind und gleichzeitig ein Teil der Gemeinschaft, in der sie leben. Sie lernen, dass ihre Meinung und Wahrnehmung wichtig ist und sie ernst genommen werden. Sie lernen sich für etwas einzusetzen und auf etwas Einfluss zu haben, was um sie herum geschieht. Sie lernen sich zu äußern und Entscheidungen zu treffen und machen die Erfahrung: „Ich bin wichtig für die Gemeinschaft und bestimme mit! Ich habe Rechte!“
So bewegen wir uns von der Defizit – zurRessourcenorientierung, von der Passivität der Kinder und einer Erwartung der Hilfe von außen, zur Selbsthilfe und Entwicklung eigener Lösungsstrategien.
Kinder gewinnen durch Partizipation die Überzeugung, Anforderungen bewältigen zu können und entwickeln Strategien, um Probleme zu bearbeiten. Dies führt zu einem hohen Maß beim Erleben von Selbstwirksamkeit und stärkt die Resilienz.
Konflikte werden selbstständig untereinander ausgetragen und sie erleben sich dadurch unabhängig von Erwachsenen.
Die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte ist es als Bildungsbegleiter:innen und Moderator:innen zur Seite zu stehen und Bedingungen zu schaffen, die die Selbstbildung ermöglichen.